Das sinnlose Baumkataster oder die Aushebelung des Konnexitätsprinzips
Viel Wirbel hat meine Aussage ausgelöst “Das Baumkataster ist die sinnloseste Ausgabe, seit ich Stadtrat bin.” (Mainpost vom 04.12.2018 https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Zu-wenige-Einnahmen-und-zu-viele-Ausgaben;art769,10124196 ) mit der öffentlichen Antwort des Bürgermeisters “Baumkataster keine sinnlose Ausgabe” (Mainpost vom 07.12.2018 https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Baumkataster-keine-sinnlose-Ausgabe;art769,10126630 ).
Natürlich weiß ich um die Sicherheits- und Haftungsaspekte und genau das ist ein Teil meiner Kritik:
Die Gesellschaft steuert immer mehr auf eine Vollkasko-Gesellschaft zu und das Baumkataster vereinigt vieles, was hier in meinen Augen schief läuft.
Die Ausgangssituation: Die Stadt hat viele eigene, öffentliche Flächen und da stehen viele Bäume drauf. Fällt ein Ast runter, kann ein Schaden entstehen.
Kann man sich durch Vorbeugen tatsächlich schützen oder ist das höhere Gewalt?
Früher war es auf jeden Fall höhere Gewalt, heute schaut man, wen man haftbar machen und ggfs. verklagen kann.
Das ist ein Trend in allen Teilen der Gesellschaft, z.B. in Schulen: Zahllose Klagen und Beschwerden gegen Lehrer, wenn Kinder vermeintlich schlecht benotet werden. Oder wer heute auf Glatteis ausrutscht, ist nicht mehr selber schuld, sondern schaut, wen er verklagen kann, weil jemand vielleicht nicht richtig gestreut hat. Das zeigt alles das gleiche Phänomen, die eigene Verantwortung von sich weg zu schieben und einen Schuldigen zu suchen.
Organisationsverschulden in der Verwaltung
Auf der Ebene der Verwaltung heißt die Drohung “Organisationsverschulden”: Hat der Leiter einer Organisation (hier der Bürgermeister) Kenntnis über Missstände und handelt nicht, haftet der Leiter persönlich.
Theoretisch ist das alles richtig und wichtig. Aber praktisch passen Maß und Mitte nicht mehr.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Die frühere Lösung in der Stadthalle mit der Beaufsichtigung durch einen Feuerwehrmann/frau war praktikabel und hat es uns ermöglicht, trotz zweifelhaftem Brandschutz Veranstaltungen in der Stadthalle durchzuführen: Es gibt zwei Ausgänge und Profis von der Feuerwehr passen aktiv auf. Die Feuerleute werden bezahlt, man hat etwas mehr Kosten, aber die sind überschaubar, alle sind zufrieden und das Risiko ist ebenfalls überschaubar.
Jetzt zeigen zu viele Finger auf die Stadt – und somit auf den Bürgermeister – dass wir nicht sehenden Auges in einer Halle ohne zeitgemäßen Brandschutz Veranstaltungen durchführen könnten und hier gehandelt werden müsse. Was bleibt übrig, wenn am Ende einer persönlich haften muss: Die Stadthalle ist geschlossen. Logisch.
Das Gleiche bei den Bäumen: Ohne Nachweis, sich um die Bäume gekümmert zu haben, haftest du. Also werden alle Bäume einzeln untersucht. Für 94.645 € (Hinweis: das ist die Summe der letzten 3 Jahre für die Maßnahme samt Folgemaßnahmen).
Mir konnte noch nicht ein Haftungsfall der Vergangenheit der Stadt Gerolzhofen genannt werden, der aus diesem theoretischen Risiko ein praktisches gemacht hätte (also dass die Stadt verklagt wurde, weil ein um- oder runterfallender Baum oder Ast einen Schaden verursacht hat).
Wir haben eine sehr gute Stadtgärtnerei, die bisher ja ebenfalls mit offenen Augen durch die Stadt gegangen ist. Die Spielplätze werden mehrmals die Woche vom Bauhof gereinigt, die Kindergärten und Schulen haben Personal, die Hinweise geben, wenn ein Ast oder Baum bedenklich aussieht. Zudem: Wenn irgendwo ein Baum morsch war, gab es Hinweise aus der Bevölkerung, die an die Stadtgärtnerei, an das Stadtbauamt oder die Stadträte getragen wurden. Die haben es dann an die Stadtgärtnerei weitergegeben, die sich drum gekümmert hat.
So hat es nachweislich immer gut funktioniert und würde es auch weiter gut funktionieren.
Hier ist in meinen Augen einfach kein Handlungsbedarf abseits der nun notwendigen rechtlichen Absicherung.
Mit den 94.000 € könnten wir z.B. eine weitere Stelle in der Stadtgärtnerei finanzieren, die sich um ein noch besserer Stadtbild oder bessere Baumpflege kümmert. Oder wir könnten mit den 94.000 € das Dach des FC-Gebäudes sanieren oder etwas anderes machen, was die Bürger von Gerolzhofen – vertreten durch die Stadträte – als beste Verwendung für das Geld halten.
So aber können wir es nicht selbst entscheiden. Von außen wird indirekt in die Stadtkassen gegriffen und uns Stadträten Entscheidungskompetenzen genommen. Gleichzeitig wird durch den Hinweis auf das Organisationsverschulden mal eben das Konnexitätsprinzip außer Kraft gesetzt.
Aushöhlen des Konnexitätsprinzips
Das Aushöhlen des „Konnexitätsprinzips“ (siehe Definition bei Wikipedia oder boell.de KommunalWiki) und zugleich der kommunalen Selbstverwaltung ist der Kern meiner Kritik, der sich durch viele meiner Gedanken zieht (siehe auch “Zukunft des Straßenausbaus” https://blog.arnulf-koch.de/zukunft-des-strassenausbaus/ oder “Benachteiligung der Mittelzentren” https://blog.arnulf-koch.de/benachteiligung-der-mittelzentren/ ).
Formell gibt es das Konnexitätsprinzip, sprich: “wer eine Aufgabe bestellt, bezahlt sie auch”. Das gilt insbesondere für Aufgaben, die vom Land oder Bund an die Kommunen übertragen werden.
Das sehe ich an sehr vielen Stellen faktisch ausgesetzt.
Das Spiel läuft heute so: Man legt bestehende Gesetze streng aus und pocht auf Verantwortlichkeiten. Und schon müssen wir auf Veranlassung von außen als Kommune tätig werden, die Bäume untersuchen lassen, die Aufmaße der Häuser aufnehmen, unsere Einrichtungen nach und nach wegen Brandschutz schließen, Satzungen, die sich bewährt haben, neu erstellen. Dabei hat es früher auch funktioniert.
All das kostet Geld und wir müssen es aus unserem leeren Stadtsäckel nehmen.
Durch diese Ausgaben alleine für Rechtssicherheit fehlen uns die Ressourcen für in meinen Augen wichtigere Aufgaben. Noch einmal: nicht wir Stadträte als tragende Säule der kommunalen Selbstverwaltung haben das entschieden, sondern die Entscheidung wurde uns von außen aufgezwungen. Ich glaube, kein Stadtrat hat ein Problem gesehen, dass häufig Äste auf Spaziergänger oder parkenden Auto fallen würden, so dass der Start einer Baumoffensive eminent gewesen wäre. Da brennen uns die Mittelschule, FC-Gebäude, Marktplatz-Zustand, Stadthalle, Entwicklung neuer Baugebiete, ein schönes Ortsbild, Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung und vieles mehr unter den Nägeln.
Nichts steht für diese Zeitenwende sinnbildlicher als das Baumkataster und die gezielte Untersuchung aller 5500 Gerolzhöfer Bäume. Es ist ja nicht so, dass wir nicht auch schon vorher eine hervorragende Stadtgärtnerei mit motivierten und fähigen Mitarbeitern gehabt hätten.
Unsere Rollen in der Kommunalpolitik
So muss auch in diesem Kontext meine Beziehung zum Bürgermeister gesehen werden: Wir ziehen an einem Strang, haben aber unterschiedliche Rollen, die hier zum Tragen kommen:
Wenn ich eine Ausgabe als sinnlos benenne, kritisiere ich nicht die gute Arbeit der Menschen, die diese Aufgabe mit Hingabe ausüben, weder den Bürgermeister, noch die Mitarbeiter der Stadt, sondern nur und alleine die Ausgabe.
Denn es ist die Aufgabe von uns Stadträten, immer wieder Aufgaben und Ausgaben kritisch zu hinterfragen: gibt es nicht bessere Aufgaben für unsere – von den Bürgern bezahlten – Mitarbeiter, die mit diesen Geldern einen noch größeren Nutzen für unsere Bürgergemeinschaft erbringen können. Um solche generelle Themen ins Bewusstsein der Öffentlich zu bringen, ist es notwendig, sie nicht nur hinter verschlossenen Türen anzusprechen, sondern eben auch öffentlich zu thematisieren.
Genauso muss der Bürgermeister sich als Vorgesetzter der Mitarbeiter vor eben diese stellen und Kritik an den Aufgaben verwehren, da es nach aktueller Beschlusslage eben eine Aufgabe der Verwaltung ist und er der Chef der Verwaltung.
Ich sehe hier keinen Konflikt, sondern es sind zwei Seiten der selben Medaille, die beide das Beste für Gerolzhofen wollen.
Meine Kritik bezieht sich nicht auf die Stadt oder die Mitarbeiter der Stadt, sondern um das Generelle an sich, das vermutlich aktuell alle Kommunen in Bayern beschäftigt.
Um das selbstverständliche auszusprechen: Ich tausche mich regelmäßig mit unserem Bürgermeister Thorsten Wozniak aus, die Zusammenarbeit ist hervorragend!
PS:
Gar nicht betrachtet habe ich in diesem Blogpost die Kosten pro Baum (94T€ / 5500 Bäume = 17 € pro Baum) oder Kosten pro Bürger (94T€ / 6900 Bürger = 13 € pro Bürger) oder eine Hochrechnung auf Bayern (damit beschäftigt sich ja gerade quasi jede Kommune) oder ein Vergleich der Größenordnungen zur kommunalen Verschuldung (776 € pro Kopf im Bayern-Durchschnitt) oder ein Vergleich mit Schadenszahlen (die durch Versicherungsprämien repräsentiert werden). Da könnte man die Sinnhaftigkeits-Debatte auf ganz anderen Ebenen außer der Kritik an Organisationsverschulden und Konnexitätsprinzip führen.